Dogon
Volksgruppe mit etwa 350000 Menschen, die in den östlichen Teilen von Mali und im Nordwesten von Burkina Faso lebt. Ihre Zuwanderung oder Flucht in die Steilhänge um Bandiagara, am westlichen Ende der Hombori-Berge, wo sie heute leben, scheint allerdingsnoch nicht eindeutig geklärt, vor allem die Richtung, aus der sie kamen. Möglicherweise sind sie erst vor einigen hundert Jahren vor den Reiterheeren der Mossi ausgewichen und haben ihrerseits frühere Bewohner dieses Zufluchtsgebietes vertrieben, die Tellerm genannt werden; deren Identität mit den Kurumba von Burkina Faso wird gelegentlich vermutet (Laude, 1973), scheint jedoch nicht gesichert. Roy (1983) schliesst aufgrund eigener Forschungen in Burkina Faso, dass die Dogon noch bis etwa 1480 in der Nordwestecke von Burkina Faso lebten, de Grunne vermutet demgegen über einen gemeinsamen Ursprung der Kagoro, einer gemischten Mande-Gruppe, bestehend aus Bambara, Peul und Soninke einerseits und den Dogon andererseits im Niger-Binnendelta. Dabei lässt sich auch eine Reihe von bisher den Dogon zugeschriebenen Figuren aufgrund des unterschiedlichen Schläfentataus den Kagoro zuordnen ein Schläfentatau, das sich in gleicher Weise auf Terrakotta-Reiterfiguren aus dem Niger-Binnendelta findet, die in das 13.- 15. Jahrhundert datiert werden.
Weiterhin immer noch nicht eindeutig geklärt scheint die Zuordnung von in den Höhlen aufgefundenen Figuren zu den sogenannten Tellem, also den Vorbewohnern der Steilhänge von Bandiagara, oder zu den Dogon.
Seit eine Gruppe holländischer Archäologen auf fünf Forschungsreisen 34 dieser hoch in den Wänden befindlichen Höhlen der Tellem/Dogon untersuchen konnte und aufgrund von biologischen und Radiocarbon-Daten, sowie mit Hilfe von 30 Tellem/Dogon-Figuren dreierlei Kulturepochen feststellte, wobei die mittlere - zumindest kunsthistorisch - vermutlich eine Übergangsphase kennzeichnet, lassen sich Skulpturen aus dieser Periode kaum mehr eindeutig der einen oder anderen Gruppe zuordnen: Der erste Zeitabschnitt reicht vom 11. bis zum 15. Jahrhundert, der zweite vom 15. bis 18. Jahrhundert, und der letzte schliesslich vom 18. Jahrhundert an bis heute. Wichtiger als die Zuordnung zur einen oder anderen Gruppe scheint jedoch, dass diese Dogon/Tellem-Figuren zu den ältesten erhaltenen Skulpturen Schwarzafrikas zählen, ermöglicht durch ihre gesicherte Lage in den Höhlen der Steilhänge. Nach Kjersmeier wurden die Figuren beim Tod eines Familienmitgliedes einige Tage an die Seite des Verstorbene gestellt; Lern bezeichnet eine Skulptur, als »weibliche Figur, einen Schutzgeist darstellend«. Nach Ezra stellen die Dogon ihre Figuren auf eine Anzahl verschiedener Altäre, die meistens realen oder mythologischen Ahnen gewidmet sind. Doch nur wenige dieser Altäre konnten je im Detail erkundet oder abgebildet werden, noch gibt es hinreichend Information darüber, wie die Dargestellten identifiziert werden können.
Die Dogon kennen eine grosse Zahl verschiedener Maskentypen (man schätzt etwa 100), die symbolisch alle aus der etwa 10 Meter langen, in Schlangenform konzipierten Muttermaske imina-na hergeleitet werden; diese wird wegen ihrer Länge kann sie nicht getragen werden - bei besonderen Trauerfeiern sechs Tage lang ausgestellt und beim grossen Sigi-Fest, das zu Ehren der Vorfahren nur alle 60 Jahre stattfindet, besonders geehrt. Etwa bis zur Hälfte so lang kann die sirige-Maske werden, die auch »Etagen-Maske« genannt wird, weil sie das Familienhaus des Klangründers symbolisiert. Dieses zählt theoretisch 80 »Etagen«, welche wiederum die 80 Urahnen der Menschheit darstellen. Sie finden sich andeutungsweise auf dem langen, schmalen Brett als sich abwechselnde geometrische Muster hier drängt sich ein Vergleich mit den äthiopischen Stockwerksstelen von Axum auf. Mit der sirige-Maske wird trotz ihrer Länge auch getanzt, wobei der Tänzer oft meterhöhe Sprünge im Rhythmus der begleitenden Trommeln ausführt.
Bei den heute auch für Touristen gegen Entgelt produzierten Tänzen wird die sirige-Maske unter anderen auch von einer Anzahl kanaga-Masken begleitet, deren Aufbau an ein Lothringerkreuz erinnert. Die Bedeutung dieses Kreuzes ist bis heute unklar: Einmal wird es als Vogel im Flug, einmal als Gestalt des Krokodils und einmal als eine Schöpfergestalt interpretiert. Die Maskentänzer tragen alle ein rot gefärbtes Faserkostüm und wenn sie als Maskengestalt Peul-Mädchen darstellen oft mit Kaurischnecken verzierte Büstenhalter, die an Stelle der Brüste (nur Männer tanzen) zwei Hälften einer Frucht des Affenbrotbaumes enthalten; die Peul waren die Erbfeinde der Dogon. Alle Masken gehören den Awa-Gesellschaften und erscheinen bei den Dama, den Beerdigungsfeierlichkeiten; diese werden alle zwei oder drei Jahre zu Ehren- der inzwischen verstorbenen Ältesten abgehalten. Sie stellen Tiere, Dinge oder Menschen dar und werden aus Pflanzenfasern, Stoff oder Holz gefertigt. Mit Ausnahme der Maske des Hogon, des Priesters, sind es bei den letzteren meist die Fremden, die »porträtiert« werden: Die Nachbarn, wie die Peulh (Fulani), die Dioula oder die Tuareg. Eine der häufigsten dieser »Fremden«Masken ist die samana-Maske, die den Vertreter einer kleinen kriegerischen Gruppe, der Samo, am Fusse der Bandiagara-Steilhänge darstellt; die Samo haben einst die Dogon besiegt und zu Sklaven gemacht.
Die samana-Maske spielt eine besondere Rolle bei den Dama-Maskenzeremonien, besonders bei denjenigen, die auf dem Hauptplatz des Dorfes stattfinden, zum Unterschied von den Riten, die beim Haus des oder der Verstorbenen abgehalten werden. Auch die satimbe-Maske nimmt an den Dama-Feierlichkeiten teil, doch besitzt sie eine Sonderstellung: Sie stellt Yasigine dar, die ältere Schwester der Masken (sigui) und die einzige Frau des Dorfes, die mit der Awa-Gesellschaft, sie rekrutiert sich aus beschnittenen Mitgliedern der Dorfgemeinschaft tanzen darf. Wörtlich bedeutet satimbe »Schwester des Kopfes« und stellt nicht nur die erste »Schwester des Sigui« dar, sondern alle folgenden Frauen, die Yasigine sind. Eine Frau kann Yasigine werden wenn sie während einer Sigui-Zeremonie geboren wird und später ungewöhnliches soziales Verhalten zeigt, oder wenn sie offenbart, dass sie besessen ist, auch wenn sie nicht während einer Sigui geboren wurde. Manche Frauen, die steril sind oder keine männlichen Nachkommen gebären konnten, schreiben diese Tatsache der Verletzung eines Tabus zu und suchen Zuflucht bei der Besessenheit durch einen Geist; auch sie sind Yasigine.
Roy (1992) weist in diesem Zusammenhang auf die Ähnlichkeit dieses Maskentyps mit den karan-wemba-Masken der Mossi hin, deren gleiche Konzeption - abstrakte Maske (Antilopenkopf) mit weiblichem Figuren-Aufsatz - sich lediglich dadurch unterscheidet, dass die Dogon-Maskenkörper rechteckig, die der Mossi oval sind. Beide Volksgruppen wurzeln möglicherweise in der selben Tradition: Die Ahnen der Mossi, welche die karan-wemba-Masken schnitzten, waren, nach Roy, Dogon, das heisst die heutigen Nyonyosi.
Wärend des Schnitzen der Skulpturen, wie bei vielen Volksgruppen im altnigeritischen Kulturraum, dem Schmied obliegt, werden die Masken von jungen Männern der Awa-Gesellschaft angefertigt.
Die Verbundenheit mit den Urahnen und deren mystischen Einfluss auf das tägliche Leben kommt sehr gut auch bei anderen Schnitzwerken zum Ausdruck. So bei den Türen, welche die Hirsespeicher verschliessen, den Gefässen, Ritualstäben und trögen. Diese letzteren heissen aduna koro , haben eine rechteckige Form, meist einen abstrakt gestalteten Pferdekopf und -schweif, sowie reliefierte Schnitzereien an den Seiten. In der Literatur oft als »Arche der Welt« bezeichnet, werden die aduno koro bei den Dogon im Haus des Klan-Ältesten, ginna, aufbewahrt. In sie wird rohes und gekochtes Fleisch von Ziegen und Schafen gelegt, die auf dem Familien-Altar für den Schöpfergott Amma und die eigenen Vorfahren (Vage(t) beim jährlichen Goru-Fest geopfert wurden. Goru wird im ginna zelebriert und ist der Höhepunkt einer Reihe von Ritualen, die die Hirseernte feiern, Nahrung der Familie für das kommende Jahr. In den Grabhöhlen der Steilhänge von Bandiagara wurde auch eine große Menge an Baumwoll- und Wolltextilien zutage gefördert, deren Entstehung aufgrund von Radiocarbon-Daten teilweise bis in das 11. Jahrhundert angesetzt werden kann. Die Textilfragmente zeigen bereits einen Entwicklungsstand der Weberei, der in den späteren Jahrhunderten nur unbedeutend, so z.B.. in Bezug auf die Wirkerei übertroffen wurde. Benützt wurden die Gewebe, deren Fragmente man bergen konnte, als Bekleidung der Toten, aber auch als Leichentücher und Kopfschmuck. Dabei haben sich die Bekleidungsformen so gut wie nicht geändert: Das T-förmig geschnittene weite Hemd (unten leicht ausgestellt) und die einfache, die Ohren bedeckende Mütze werden heute so wie damals getragen.
Die alte Tradition der Weberei spiegelt sich deutlich in den Schöpfungsmythen der Dogon wieder, die wohl bei keinem anderen afrikanischen Volk so eng mit diesem Handwerk verbunden sind. Dies kommt besonders deutlich bei den Webrollenhaltern zum Ausdruck, die in der Regel beim Schmied in Auftrag gegeben werden (der erste Schmied erhielt von Binou Serou, einem der vier mythischen Ahnen, einen solchen Auftrag, damit er weben könne) und deren Holzart entsprechend des auf dem Webstuhl hergestellten Gewebes vorgeschrieben ist. Auch der Webstuhl muss entsprechend den wichtigsten vier Punkten der Erde aufgestellt werden; die Kette verläuft in Nord-Süd-, der Schuss in Ost-WestRichtung. Dabei sitzt der Weber im Norden, die Kette wird nach Süden gespannt. Der Norden ist die bevorzugte Richtung von Amma und für Nommo (Sohn von Amma und seinem Zwilling), denn dieser wandte sich nach Norden, als er das Wort in den Niger webte.
Andere Namen: DOGO, DOGOM, HABBE, HABE, KADO, KADDO, KIBISI, TOMBO
Quelle: Lexikon Afrikanische Kunst und Kultur, Karl-Ferdinand Schaedler
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