BAKONGO
Kongo (Bakongo), bedeutende Volksgruppe am unteren Zaire (Kongo), zu der die Kakongo, Sorongo, Yombe, Sundi, Vili und häufig auch die Gruppen des Stanley-Pool gerechnet werden. Lehuard (1989) hat in seiner umfassenden Studie über die Kongo eine Reihe weiterer Stilgruppen definiert; insgesamt unterscheidet er 15 verschiedene Stilrichtungen, die sich im Norden bis nach Gabun (Vili), im Osten bis zu den Lari, westlich von Brazzaville bisher unter den Teke subsumiert und im Süden bis weit nach Angola hin erstreckt (Sorongo/Solongo). Dabei umfasst das Gebiet »Unterer Kongo« vor allem im Osten einen größeren Bereich, als dies geographisch zu rechtfertigen wäre: hier wird die Grenze bis an die Flüsse Lubwe und Luange verschoben.
Der rege wirtschaftliche und kulturelle Austausch der einzelnen Gruppen untereinander erschwert häufig eine eindeutige stilistische Definition von Objekten, so dass Zuschreibungen aus diesem Gebiet oft willkürlich erfolgen. Zu dieser »Stilverwischung« hat zweifelsohne die Küstennähe und der damit verbundene nivellierende westliche Einfluss viel beigetragen. Diesem Einfluss ist es auch zu verdanken, dass seit Jahrhunderten ein großer Teil der künstlerischen Schöpfungen zerstört wurde, dass sich in dieser Gegend ein starker Realismus ausgeprägt hat und dass schließlich dem Künstler durch die sozialen Veränderungen das Stimulans für seine Produktion weitgehend entzogen wurde.
Das Gebiet wurde bereits sehr früh, nämlich unter dem Kongo-König Affonso I., der um 1540 dem Reich seine größte Macht und Ausdehnung verschaffte, christianisiert. Allerdings blieb man nicht bei diesem Glauben, sondern wandte sich später wieder seiner alten Religion zu. Doch dürfte während dieser christlichen Periode, die immerhin an die zweihundert Jahre währte, eine so starke Hinwendung zu diesem neuen Glauben stattgefunden haben, wie kaum in einem anderen afrikanischen Land, das um diese Zeit missioniert wurde. Als Relikte dieser Gläubigkeit sind die zahlreichen Kreuze, Kruzifixe und Heiligenfiguren der Kapuziner zu nennen, die man dort später als Zauberfiguren und -objekte für das Glück beim Jagen, als Symbol der sozialen Autorität oder auch gegen Diebe und für das materielle Wohl der Familie verwendete.
Neben Ahnen- oder Gedenkfiguren wurden an der Kongoküste verschiedene Skulpturen hergestellt, die eine Bewachungs-, Schutz-, Abwehr-, aber auch Angriffsfunktion erfüllten und meist unter dem Begriff Zauberfigur oder dem heute zum Teil als obsolet empfundenen Begriff »Fetisch« zusammengefasst werden. Als Besonderheit des Kongo-Gebietes können dabei die so genannten »Nagel- und Spiegelfetische« gelten. In ihrer Funktion entsprechen sie häufig den Schutz- oder Heiligenfiguren christlicher und anderer Religionen, erfüllen darüber hinaus aber auch gelegentlich malevolente Ziele.
Die ersten Nachrichten über Metallteile in Figuren aus diesem Gebiet als genagelte Figuren gehen auf Olfert Dapper zurück, über 100 Jahre nach der erfolgten Christianisierung. Dapper erwähnt auch die Bezeichnung mokisie für diese Möglicherweise hat sich um diese Zeit im damaligen Kongo-Gebiet die Kunst der Magie mit Hilfe der Nagelung quasi als weiteres Relikt der Christianisierung und später als teilweiser Zauberpraktik, die sich als nkisi bis heute erhalten hat, als Ersatz für die nun verschmähte Religion ausgebreitet. Die äußeren Umstände waren nicht dagegen: anders als in Europa, wo solche Künste stets Praxis waren, jedoch immer nur im Verborgenen blühen konnten - der Scheiterhaufen war zu nah-, gab es dort diesbezüglich keinerlei Einschränkungen, und die vielleicht aus Europa importierte Zauberpraxis mit Hilfe der Nagelung konnte überall Eingang finden. In diesem Zusammenhang ist an die zweite Kategorie der Zauberfiguren zu denken: die so genannten Spiegelfetische. Ähnlich wie die Nagelfetische sind meist nur Kopf, Hände und Füße ausgearbeitet, der Körper ist grob behauen. In diesem Körper befindet sich ein kleiner, meist viereckiger Kasten, gefüllt mit Medizin, der mit einem Spiegel verschlossen ist. Assoziationen, welche diese Spiegelfetische mit christlichen Reliquiarfiguren, die ja nachweislich um dieselbe Zeit in das damalige Kongo-Gebiet kamen, in Verbindung brachten, sind schon von Baumann artikuliert worden. Palme hat sich in einer ausführlichen Untersuchung diesem Problemkreis gewidmet. Danach sind zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert, als das Christentum die herrschende Religion in diesem Gebiet war, keine Nachrichten über Spiegelfetische aufzufinden; erst im 19. Jahrhundert wird Diesbezügliches vermeldet. Auch hier könnte also, nach der Abkehr vom Christentum, die Reliquiarfigur durch den Spiegelfetisch ersetzt worden sein; möglicherweise aber bestand zwischen beiden Kultobjekten überhaupt keine Substitutionsnotwendigkeit und beide blieben ihrer jeweiligen religiösen Zuordnung verhaftet. Ein großer Teil der Zauberfiguren wurde im Anschluss an Gebote von Kongokönigen des 16. und 17. Jahrhunderts, die diese auf Anraten der Missionare erließen, zerstört. Dadurch sind nur wenige der oft grandiosen Kunstwerke aus dieser Zeit erhalten geblieben. Im 18. und 19. Jahrhundert konnten sich die konservativen Kräfte wieder durchsetzen, die weißen Priester wurden vertrieben, und die alte Religion erhielt wieder neue Impulse; die meisten alten Zauberfiguren stammen deshalb aus dieser Zeit.
Bei den menschlichen Zauberfiguren wird die Medizin in einer im Leib ausgehöhlten Öffnung untergebracht, dann mit Erde und Pech verschlossen und gelegentlich mit einer Kaurischnecke, einem anderen tierischen Gehäuse oder mit einem Spiegel abgedeckt. Seltener findet sich die Medizin am Rücken, wie dies bei den zoomorphen Figuren meist der Fall ist.
Wie oben bereits angedeutet wurde, weisen die Zauberfiguren bezüglich der künstlerischen Gestaltung in der Regel nicht die besondere Sorgfalt und Technik in der Bearbeitung des Holzes auf wie die Ahnenfiguren. Meistens ist der Kopf einer Figur gut und subtil gestaltet, während der Körper entweder grob oder ohne Stilkontrolle geschnitzt ist; oft fehlen die Arme oder die Geschlechtsorgane oder die letzteren sind besonders prominent gestaltet. Die Gesichtszüge der »Fetische« spiegeln auch meist ihren Aufgabenbereich wider: die moganga - (Bantu = Arzt) Figuren haben ruhige, ausgeglichene Gesichter, die konde -Figuren manchmal ausgesprochen wilde Physiognomien.
Die zweite große Gruppe der Kongoskulpturen stellt Ahnen dar; oft findet sich dabei das Mutter-Kind-Motiv ( phemba ), aber auch Einzelfiguren kommen häufig vor. Sie unterscheiden sich von den Zauberfiguren vor allem durch die sorgfältige Bearbeitung insbesondere der Körper der Mutter, wobei auch das kleinste Detail bei der Tatauierung ( zitsamba ) nicht fehlen darf. Ein weiteres Merkmal der Figuren dieser Region ist das generelle Abweichen der sonst fast überall in Afrika eingehaltenen statischen und symmetrischen Darstellungsweise. Diese Tatsache wurde des Öfteren dem europäischen Einfluss zugeschrieben, doch zeigen andererseits gerade die ntadi (Pl. mintadi ) genannten Steinfiguren, von denen die ersten bereits Ende des 17. Jahrhunderts nach Europa gekommen sein sollen, eine Bewegung in Ausdruck und Haltung. ntadi bedeutet soviel wie wachender Geist, und solche ntadi - (oder auch bitumba -) Figuren wurden in der Regel auf die Gräber hochgestellter Persönlichkeiten gestellt. Die einzelnen Haltungen der Figuren drücken dabei verschiedene Emotionen aus. Eine Geste kann sowohl »anflehen« als auch »geben« bedeuten. Nach McGaffey ist ein ntadi das Alter ego des oder der Verstorbenen, das gleichzeitig er oder sie ist und über sie oder ihn wacht. mintadi funktionieren demnach als Äquivalent der anderen Welt für den oder die Dahingeschiedene(n), außer sie sind als nkisi gedacht (d.h. wenn sie mit Zauber- bilongo - versehen sind), oder sie wurden als Prestigeobjekt hingestellt, nicht als »Porträt«.
Ähnliche Figuren, meist aus hellem Holz und oft schwarz, weiß und rot bemalt, werden als Gedenkfiguren in Ahnenschreine - Nzo a bakulu - gestellt, die sich als kleine Hütten am Eingang des Dorfes finden. Eine Besonderheit stellen darüber hinaus die Grabterrakotten der Kongo dar, die bis in die 70er Jahre weitgehend unbekannt geblieben waren und diboondo (Pl. maboondo ) heißen. Es sind dies säulenförmige hohle Objekte, entweder rund oder viereckig, in einer durchschnittlichen Größe von 40 cm und einem Durchmesser von 20 cm, teilweise durchbrochen gearbeitet, teilweise als Gefäß mit Deckel und meist mit verschiedenen Motiven versehen.
Die Masken der Kongo sind oft schwarz, weiß und rot bemalt, sehr naturalistisch gestaltet und lassen häufig die Zunge aus dem leicht geöffneten Mund hervortreten.
Wie auch andere Volksgruppen im zentralen Afrika gibt es bei den Gruppen des Unteren Kongo auch sehr fein geschnitzte Signalpfeifen, die beim Ahnenkult verwendet werden: Der Priester oder Medizinmann - Nganga Nkiba - bedient sich ihrer bei der Kontaktaufnahme mit den Ahnen dieser Pfeifen, die (wie die anthropomorphen Trompeten der Bembe) nsiba heißen.
Andere Namen: BAKONGO, BASHIKONGO, KAKONGO
Quelle: Lexikon Afrikanische Kunst und Kultur, Karl-Ferdinand Schaedler
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