Hartmut Brie: Dagegen
 

 

Wiesenburg Verlag
ISBN  978-3-942063-55-5
Ladenpreis € 17,50

Hartmut Brie:

Dagegen

Ein neuer „Brie“ ist auf dem Markt. Der Müllheimer Lyriker und Landesvorsitzende des Freien Deutschen Autorenverbandes (FDA) in Baden-Württemberg meldet sich Ende 2010 mit dem Gedichtband „Dagegen“ zu Wort. Ein rätselhafter Titel, weil mehrdeutig. Zum Einen kann jemand „dagegen“ sein, wenn er eine gegensätzliche Meinung einem anderen gegenüber vertritt. „Dagegen“ kann aber auch  das Ansteuern eines künftigen Zeitpunktes bedeuten. Im Blick auf die Fastnacht heißt es im Badischen: „´s goht dagege“.

Beim ersten Blick in das Buch fällt die sorgfältige Gestaltung auf. Der Autor Brie (geb. 1943) arbeitet mit dem aus Polen stammenden Illustrator Miro Niklewicz (geb. 1957) zusammen, dessen Schwarz-weiß-Grafiken die poetischen Bilder des Autors unterstreichen und in einer Art Zusammenspiel ergänzen.

Das Buch ist eingeteilt in sechs Abschnitte unterschiedlicher Länge. Die Überschriften bestehen jeweils aus einem Wort. Die Überschriften lauten im Einzelnen: Selbstredend, Betroffen, Nachhaltig, Mitfühlend, Gläubig, Vernarrt. Es sind Partizipien bzw. Adjektive. Philosophische, politische und sozialkritische Erfahrungen sind in die einzelnen Gedichte verpackt. Manchmal ist die Verpackung so blickdicht,  dass die Erkenntnis des Sinnes nicht jedem Leser leicht fällt. Doch das ist einer modernen Gedankenlyrik eigen. In etlichen seiner Gedichte arbeitet der Autor mit Gegensätzen, so etwa in dem Zwölfzeiler „Die Seele im Abgang“ (S.25 des besprochenen Bandes).

Heiße Spuren vom Verstand verweht
Die Eintracht hintangestellt
Die Werte im Wanken und nichts Neues in Sicht.

Leise Stimmen von Inbrunst getragen
die Seufzer beiseite gelegt
die Sprache auf Krücken und alles aus dem Gleichgewicht.

Raue Töne von Gewalt erzeugt
Der Friede ins Abseits gerückt
die Rechte unter Arrest und Freiheit aus dem Blick.

Kalte Kinder von Mitleid verlassen
Den Krieg ins Gesicht geschrieben
Die Seele im Abgang und Gewehre im Genick.

Die farbliche Gestaltung des Bucheinbandes in Schwarz und Violett lässt schon eine gewisse Tristesse ahnen, obwohl auch eine Anspielung auf Kirchenfürsten in der Wahl des Violett zum Ausdruck kommen könnte. Zumindest in den zitierten Zeilen bewahrheitet sie sich. Der Lyriker vermittelt gekonnt eine Stimmung der Leere in Form von Abwesenheit  von Werten und einer vermittelnden Sprache. Gewalt ist das Leitmotiv, mit dem die Menschen zu Recht kommen müssen.
„Die „Seele im Abgang“ – dies Diktum des Dichters H. Brie lässt nur noch unverbesserliche Optimisten auf bessere Tage des Glücks in einer realen Welt von Unglück und Gewalt hoffen. Doch es ist legitim, dass sich in lyrischen Strophen erfahrener Schmerz kristallisiert

Ein Dichter muß aber auch ironisch sein können, egal ob er sich in Lyrik oder Prosa seinen Lesern mitteilt. Die moderne Zivilisation wird gleichsam gemäß dem Motto „Dagegen“ auf die Schippe genommen, wenn man dem folgenden Zwölfzeiler (S.67) folgt:

Alles ist verfügbar und einsatzbereit

Die ganze Welt in der Hosentasche,
Global ein Hauch von Leichtsinn,
Alles ist machbar in kürzester Zeit.

Die ganze Welt ist mein Zuhause,
global eine Spur von Wettkampf,
Alles ist verfügbar und einsatzbereit.

Der Mensch steht seinen Mann,
er gibt sich nicht zufrieden
mit dem, was um ihn herum geschieht.

Der Mensch läuft auf Touren,
er will etwas bewegen
mit dem, was er als Visionen sieht.


Global kann uferlose Machbarkeit in Politik, Wirtschaft und Kultur meinen (Die ganze Welt ist mein Zuhause). Ob der Lyriker mit dem mehrmaligen Anführen von global ein neues Weltbürgertum postuliert (Visionen) oder auf die Wirtschaftskrise und das Konkurrenzdenken anspielt, er ist für eine globale Sicht der Dinge, weg von der Enge lokaler oder regionaler Zwänge.

Der etwas eigenwillige Stil des Autors, ersichtlich in seinem Umgang mit Sprachbildern und Suggestion von unterschwellig Mitschwingendem, ist wie ein Markenzeichen und sollte ihm einen Platz in der Gegenwartslyrik sichern.

Jedenfalls lohnt es sich, auch bei schwarz-violettem Einband den neuesten Brie mit einem zwinkernden und einem nachdenklichen Auge zu lesen.

© Wilfried Benedikt West, Freier Deutscher Autorenverband (FDA), Dezember 2010

auf FDA, Landesverband Baden-Württemberg / Rezensionen

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